Community Organizing ist eine Antwort darauf, wie Menschen in Großstädten politisch handlungsfähig werden. Aufbauend auf kontinuierlicher und respektvoller Beziehungsarbeit kommen im Ergebnis in Bürgerplattformen Schlüsselpersonen aus der Zivilgesellschaft zusammen, um jenseits aller Unterschiede gemeinsam machtvoll zu werden.
In Berlin haben sich 60 Gruppen in den Berliner Bürgerplattformen auf diese Weise zusammengetan, in Duisburg und Köln existieren Bürgerplattformen mit jeweils 12 Gruppen. Weltweit existieren knapp 70 Bürgerplattformen in den USA, Kanada, Australien und England, die alle nach der gleichen Methode jedoch selbstbestimmt ihre Lebensumwelt gestalten.
Alle diese Entwicklungen gehen auf den Anfangsimpuls von Saul Alinsky zurück, der in den 1930er Jahren in Chicago begonnen hat, Menschen über ihre Kirchengemeinden, Gewerkschaften und Vereine zusammenzubringen, um anhand gemeinsamer Interesse konkrete Verbesserungen zu erreichen. Seitdem hat sich die Idee verbreitet und findet vor allem dort Gehör, wo Menschen andere Wege der Teilhabe verschlossen sind. Nicht das Thema ist es dann auch zu Beginn, was die Menschen zusammenbringt, sondern der Wunsch gemeinsam auf Augenhöhe mit Entscheidungsträgern zu verhandeln. Themen gibt es genug, für die es sich zu streiten lohnt, meist ist es die Struktur zur Umsetzung an der es mangelt.
Macht
Sich auf Community Organizing einzulassen heißt zu akzeptieren, dass es unterschiedliche Machtpole in der Stadt gibt, die von Organisationen, Menschen und Strukturen gebildet werden. Hannah Arendt schreibt dazu: „Macht gehört in der Tat zum Wesen aller staatlichen Gemeinwesen, ja aller irgendwie organisierten Gruppen“ und ist im Gegensatz zu Gewalt ein Selbstzweck, der „keiner Rechtfertigung [bedarf], da sie allen menschlichen Gemeinschaften immer schon inhärent ist“ (Arendt 2000: 180f). Macht ist damit weder gut noch böse, sondern entsteht, wenn Menschen gemeinsam handeln (Arendt 2000: 181).
Das Grundgesetz gibt uns die Möglichkeit uns freiheitlich zusammenzuschließen, uns zu versammeln und für unsere Meinungen einzutreten und damit Stück für Stück machtvoller zu werden. Ankerpunkt einer jeden Bürgerplattform sind deshalb Vereinigungen von Menschen (Vereine, Nachbarschaften, Kirchengemeinden, Moscheen, etc.), in denen bereits erste Interessen gebündelt wurden und die diese in Folge in Verhandlung bringen möchten. Wenn in einer Bürgerplattform mehrere Gruppen unterschiedlichster Art zusammenkommen, dann entsteht eine neue Form von Macht, die anderen Organisationen nichts wegnimmt, sondern vielmehr das Spektrum der Teilhabe erweitert. Vor allem in Stadtteilen, in denen klassische Teilhabeoptionen wie Wahlen und bürgerschaftliches Engagement weniger ausgeprägt sind, finden sich vielfältige Ansatzpunkte für ein Wiederentdecken de Beziehungsarbeit zwischen Menschen und Gruppen.
Beziehungen
Das radikale Grundelement von Community Organizing ist das persönliche Einzelgespräch, das innerhalb der Bürgerplattform immer wieder eingeübt und gestärkt wird. Wenn Menschen sich auf Augenhöhe begegnen und in Respekt voreinander eine persönliche Beziehung aufbauen, entsteht eine besondere Form von Zusammenhalt. Es geht nicht darum Freundschaften aufzubauen, sondern vielmehr im öffentlichen Leben eine Verbundenheit miteinander zu erfahren, die gerade in den Städten nicht Standard ist. Wenn ich mich auf den Anderen einlasse und nach den Motivationen, Werten und Ideen frage, abstrahiere ich von Vorurteilen und erkunde das Menschliche, das jenseits aller externen Zuschreibungen liegt. Unterstützt und begleitet wird diese Arbeit durch einen Community Organizer, der als hauptamtliche Kraft immer wieder die Beziehungsarbeit einfordert und als Knotenpunkt für weitere Entwicklungen wirkt.
Diversität
Eine Bürgerplattform macht da einen Unterschied, wo sich nicht nur Menschen aus dem gleichen Milieu zusammenzuschließen, sondern ein Teil der Stadt möglichst repräsentativ abgebildet wird. Anhand der Beziehungsgespräche finden sich über 2-3 Jahre immer mehr Menschen mit ihren Gruppen zusammen und beschließen bei genügend kritischer Masse, sich als Bürgerplattform zu gründen. In einer Bürgerplattform wird nicht thematisiert, was uns trennt, sondern diejenigen Teile ausgespart, über die eine Diskussion kein Ergebnis bringen würde. Ob der Gruppe ein bestimmtes Weltbild zugrunde liegt, ist für die Verbesserung konkreter Lebensumstände nicht von Relevanz, so lange es sich um ein demokratisches Spektrum handelt (und bei Gewalt ist die Grenze ziemlich deutlich überschritten). Insofern finden sich in Bürgerplattformen Kirchengemeinden, Moscheen, Kleingärtner, Angelvereine, Sozialträger, Elterngruppen, Bildungseinrichtungen, Orden und weitere zusammen und arbeiten anhand ihrer Interessen daran, dass ihre Nachbarschaften ein Stück weit besser werden.
Aktionen
Was in den Städten besser werden muss, bestimmen die Gruppen einer Bürgerplattform selbst. Erst zur Gründung und damit knapp zwei Jahre nach Beginn eines Aufbauprozesses wird überhaupt über Themen gesprochen. Diese werden in Folge auf ihre Machbarkeit überprüft und mit konkreten Lösungsvorschlägen hinterlegt, um dann auf Augenhöhe mit denjenigen Entscheidungsträgern in Verhandlung zu treten, die diese umsetzen können. Die daraus folgenden Aktionen reichen von direkten Verhandlungen über Gespräche vor Ort bis hin zu großen Versammlungen mit 200-600 Menschen. Nur wenn gemeinsam genügend Druck ausgeübt werden kann, können auch große Themen bewegt werden. Und die Erfahrung aus 20 Jahren Community Organizing in Deutschland zeigt schon, dass im Jobcenter, bei der Ansiedlung einer Hochschule, bei der Verbesserung eines innerstädtischen Platzes und anderen Themen von den Bürgern selbst Veränderungen angestoßen werden können.
Eine Bürgerplattform ist nicht die einzige Möglichkeit, um Teilhabe zu organisieren. Es braucht weiterhin Parteien, gesetzliche Beteiligungsformate etc. aber es ist eine gute Ergänzung für diejenigen Lücken, die von den anderen Formaten gelassen werden. Am Ende ist auch die Freude, das vorpolitische Feld wiederzuentdecken und darüber hinaus zu erfahren, wieviel Veränderung möglich ist, wenn man sich gemeinsam auf den Weg macht.
Hinweis: dieser Beitrag ist erstmalig auf dem Blog Stadt und Migration erschienen und wurde für diese Neuveröffentlichung aktualisiert und leicht überarbeitet.
Literatur
- Alinsky, Saul (1946): Reveille for Radicals, New York.
- Alinsky, Saul (1971). Rules for Radicals : a practical primer for realistic radicals, New York.
- Arendt, Hannah (2000): In der Gegenwart. Übungen zum politischen Denken II, München/Zürich.
- Chambers, Edwards (2003): Roots for Radicals, New York.
- Gecan, Michael (2002): Going Public, Boston.
- Meier, Tobias, Penta, Leo, Richter, Andreas (Hrsg.) (2022): Lehrbuch Community Organizing, Weinheim.
- Penta, Leo J. [Hg.] (2007): Community Organizing. Menschen verändern ihre Stadt, Hamburg.
- Stiftung Mitarbeit [Hg.] (2014): Handbuch Community Organizing, Theorie und Praxis in Deutschland, Bonn.
Internetverweise