Das Buch „Religion im Sozialraum“ von Ingolf Hübner, Sonja Keller, Kristin Merle, Steffen Merle, Thorsten Moos und Christopher Zarnow basiert auf zwei Tagungen von Diakonie und Evangelischer Kirche in Deutschland zum gleichen Thema aus dem Jahr 2021. Der Untertitel „sozialwissenschaftliche und theologische Perspektiven“ fasst bereits den Anspruch des Sammelbandes zusammen und versucht diesen durch eine Vielfalt an Autor*innen aus Wissenschaft und Praxis sowie aus unterschiedlichen Disziplinen einzulösen. So finden sich grundlegende Einordnungen aus der Stadtsoziologie, Religionswissenschaft und Theologie, mal eher theoretisch, mal eher praxisnah. Darüber hinaus ist das Buch entlang übergreifender Themenkomplexe strukturiert, die sich an den Überschriften „Theoretische Einordnungen“, „Religiöse Raumstrategien“, „Kooperationen zwischen Diakonie und Kirche“, „Kirchenentwicklerische Programmatik“ und „Empirische Analysen“ festmachen. Dabei werden sowohl bestehende Forschungen und Praxiserfahrungen eingebracht, als auch neue Entwicklungen reflektiert.
Diese Perspektivenvielfalt ist eine Stärke. So sind die Beiträge von Ingolf Hübner zu „Gemeinwesenorientierung zwischen Vision und Suggestion“, von Marian Burchardt zu „Religion in urbanen Gefügen“, von Sonja Keller „Zur Imaginations- und Steuerungsfunktion des kirchlichen und diakonischen Programmbegriffs Sozialraums“ sowie von Hilke Rebenstorf zu „Kirchengemeinden im Sozialraum“ positiv herauszuheben. Alle diese Beiträge geben einen guten Einblick in das Thema des Buches und sind von theoretischer Bezugnahme und Detailtiefe sehr stimmig. Meist basieren diese auch auf langfristigen Forschungsprozessen und -erfahrungen und können so einzelne Aspekte des Themas gut verdeutlichen. In Bezug auf neuere Forschungen ist der Beitrag von Juliane Kanitz, Thorsten Moos und Christopher Zarnow hervorzuheben, der verschiedene Ebenen des Engagements von religiösen Akteur*innen in neuen Stadtquartieren skizziert und Interesse weckt auf die kommende Publikation zu diesem Forschungsprojekt.
In der Gesamtschau der Beiträge muss aber auch auf die Schwächen der Publikation verwiesen werden, so fehlt dem Buch bei aller Vielfalt der Beitragenden eine diskursive Klammer. So werden die Beiträge in der Einleitung lediglich kurz zusammengefasst, eine Hinführung zum Thema fällt mit einem sehr kurzen Absatz zu spärlich aus und wird der Komplexität des Themas dadurch nicht gerecht. Auf eine abschließende Einordnung oder Zusammenfassung durch die Herausgebenden wird sogar gänzlich verzichtet. Dies irritiert umso mehr, da schon in den ersten vier Beiträgen Begriffe wie Sozialraumforschung, Sozialraumorientierung und Gemeinwesenorientierung ohne gegenseitige Bezugnahme nebeneinanderstehen und sich die Beiträge auch insgesamt sehr stark unterscheiden bezüglich ihrer inhaltlichen Tiefe und Detaillierung.
Weiterhin wird der Anspruch des Haupttitels, Religion und Sozialraum zu verbinden, nur in den Beiträgen von Marian Burchardt und Mehmet Kalender eingelöst, die weiteren Beiträge fokussieren sich, auf die evangelisch-landeskirchlichen oder evangelisch-diakonischen Spielarten christlicher Religion. Es erschließt sich nicht, wieso mit diesem starken kirchennahen Fokus nicht ein entsprechender Titel im Sinne von „Kirche und Diakonie im Sozialraum“ gewählt wurde.
In der Zusammenführung der Stärken und Schwächen wird dem Anspruch der Publikation dadurch nur in Teilen entsprochen, was sicherlich auch der Herkunft als Tagungsbandes geschuldet ist. Nichtsdestotrotz lohnt es, die Lektüre des Buches als Anlass zu nehmen, sich in einer interdisziplinären Weise mit den Themen weiter zu beschäftigen. Hierfür bieten vor allem die bereits beschrieben Artikel einen guten Ansatzpunkt, den es wertzuschätzen und weiterzuverfolgen gilt.
Hübner/Keller/Merle/Merle/Moos/Zarnow (Hrsg.)
Religion im Sozialraum
Sozialwissenschaftliche und theologische Perspektiven
2023. 276 Seiten mit 2 Abb., 1 Tab., kartoniert, 232mm x 155mm x 12mm
ISBN 978-3-17-042638-2
39,00 Euro (Print), 34,99 € (eBook)